27. Februar 2014

ELFRIEDE JELINEK

Seit sie vor zehn Jahren den Nobelpreis gewonnen hat, veröffentlicht unser Beiratsmitglied Elfriede Jelinek ihre Literatur nur noch auf ihrer Homepage. Aus Anlass des Kongresses Literatur digital hat Fiktion-Gründer Ingo Niermann mit ihr ein Interview geführt, in dem sie sich erstmals ausführlich zum digitalen Schreiben, Lesen und Verlegen äußert: ihren ersten Computer, ihr erstes Lesegerät, Dauer und Flüchtigkeit des Digitalen, Internet-Maut, Autoren-Kollektive und Nepotismus im Literaturbetrieb. Lesen Sie das Interview exklusiv auf unserer Webseite.

Hast du, bevor du einen Computer hattest, mit der Hand, mit mechanischer oder mit elektrischer Schreibmaschine geschrieben?

Ich habe nur ein, zwei Jahre Gedichte mit der Hand geschrieben, die sind ja kurz. Das war nur wenig. Danach habe ich eine mechanische Schreibmaschine bekommen und alles gleich mit der Schreibmaschine geschrieben. Ich kann nicht von Hand schreiben, weil meine Hand sehr schwer ist und jeden Stift, jeden Faserschreiber, vor allem jede teure Füllfelder rasch abbricht.

Was war der erste Computer, auf dem du geschrieben hast?

Das war probeweise eine DEC PDP/8 (Modell VT78), 1983, eigentlich kein Schreib-Computer. Ich habe das nur mal im Labor meines Mannes ausprobieren wollen. Danach hatte ich dann schon meinen Apple IIc, das war der erste Computer, auf dem ich dann gleich alles geschrieben habe. Der erste Text war das Theaterstück „Präsident Abendwind“, 1986. Danach habe ich nie mehr eine Schreibmaschine benutzt.

Hast du gleich alles in den Computer getippt oder gab es eine erste Fassung von Hand?

Ich habe immer gleich alles in den Rechner geschrieben. Von Hand mache ich bis heute höchstens Notizen, hauptsächlich auf alte Briefumschläge oder so. Ich muß mir immer alles gleich notieren, weil ich so ein schlechtes Gedächtnis habe. Das Tippen ist eine sehr organische Tätigkeit für mich, fast wie das Denken selbst.

Wie hat sich dein Schreiben durch den Computer verändert?

Da gibt es zwei Aspekte. Der eine ist die Erleichterung der Arbeit. Ich habe ja früher jede Seite, auf der ich nur ein, zwei Korrekturen gemacht habe, noch einmal ganz abgetippt, damit ich das Ganze sehe, wie es dann auch im Buch aussieht. Es ist fast so, als wäre der Computer für meine Arbeitsweise erfunden, denn ich schreibe ja sehr schnell, aufgrund einer inneren Unruhe, die kaum duldet, daß ich beim Schreiben auch nur kurz unterbreche. Da schreibe ich dann oft auch sinnloses Zeug, das ich später wieder lösche. Es ist eigentlich ein mechanischer Vorgang, aber einer, der keine Mühe macht. Ich brauche das, daß es so leicht geht; und dann schreibe ich das Ganze immer wieder um, und dem kommt der Computer natürlich sehr entgegen. Man kann etwas spurlos verschwinden lassen und etwas anderes an dessen Stelle setzen. Man fühlt sich dabei wie ein Gott, der etwas erschaffen kann und es wieder wegräumt, im selben Arbeitsgang. Bis ich weiß, das kann ich jetzt so stehen lassen. Dann greift man zu und hält es fest. Jetzt wird es nicht mehr besser. So bleibt es, obwohl es tausend andere Möglichkeiten gäbe. Ich weiß nicht, ob das für jede Arbeitsweise ideal ist, für meine aber sicher.

Lenken dich E-Mails und Internet vom Schreiben und Lesen ab? Hast du schon einmal eine Internetsperre benutzt?

Ich bin nicht leicht ablenkbar. Natürlich schaue ich manchmal zwischendurch, ob etwas für mich gekommen ist (es gibt bei meinem Rechner kein Signal, nur beim Tablet), wenn ich etwas Wichtiges erwarte, aber das ist nicht mein Problem, ich bin sehr konzentrationsfähig. Nein, eine Sperre brauche ich nicht.

Hast du mal überlegt, interaktiv oder an einem Hypertext zu arbeiten?

Nein, da bin ich vielleicht schon zu alt, keine Ahnung. Obwohl am Theater meine Generation es war, die das Interaktive zwischen Bühne und Publikum sozusagen eingeführt hat. Ich habe damals viele Aktionen gemacht. Aber formal experimentiere ich im und mit dem Netz nicht. Es wäre aber sicher reizvoll.

Wie unterscheidet sich für dich das Lesen von Digitalem von dem von Gedrucktem?

Sehr schwer zu beantworten. Dieses Schnelle und Flüchtige beim Lesen am Bildschirm schätze ich für viele Sachen, vor allem bei Zeitungen und Zeitschriften oder fürs rasche Recherchieren zwischendurch. Ich würde nicht sagen, daß das Gedruckte etwas für die Ewigkeit ist, mehr Gültigkeit und Dauer hat. Sonst hätte ich auch nicht beschlossen, selbst keine Bücher mehr zu schreiben und meine Prosa nur noch auf meiner Homepage zu veröffentlichen. Es ist dieses Oszillieren zwischen Dauer und Flüchtigkeit (das Netz verliert ja nichts, die Texte führen, unabhängig von Verwertern, ihr Eigenleben, mäandern herum, manche fallen manchen zufällig in die Hände, andere suchen gezielt danach, das fasziniert mich). Andererseits brauche ich für meine Recherchen Bücher auf Papier. Ich arbeite oft gleichzeitig mit zehn Büchern, das geht praktisch mit Rechnern und E-Books nicht. Das wird vielleicht einmal möglich sein, jetzt finde ich es aber nicht praktikabel. Ich muß ja in die Bücher (oft ausgedruckt über Projekt Gutenberg, falls man es dort bekommt) Eselsohren machen, Randnotizen, das muß alles schnell gehen. Wenn ich Zitate recherchiere, nehme ich natürlich das Netz. Aber für die Zitate, die ich in die Texte einbaue und die ich beim Schreiben ja fast immer auch verändere, bewußt „verfälsche“, kann ich die Elektronik (noch) nicht verwenden. Die Zitate werden in meine Texte niemals mit copy and paste eingefügt, sondern immer abgeschrieben und eben verändert.

Seit wann liest du Bücher digital?

Seit Juli 2008, auf einem PRS-505. Auf diesem alten Modell lese ich immer noch, habe aber schon ein neues, das noch konfiguriert werden muß. Allerdings nur Unterhaltungsliteratur, vor allem Krimis. Für die Arbeit kann ich es nicht brauchen.

Du hast deinen Roman „Neid“ 2007 also auf deiner Homepage zu veröffentlichen begonnen, noch bevor du einen E-Reader hattest?

Ja, davor. Konvertiert haben wir das erst später, als die Programme dafür besser waren, aber ich verstehe davon nichts.

Hattest du damals überhaupt schon mal einen ganzen Roman auf dem Rechner gelesen? Oder dir Bücher ausgedruckt?

Auf dem Rechner lese ich nicht gern, weil es unbequem ist, davor so lange zu sitzen. Ich drucke mir nur kürzere theoretische Texte oder Fremdtexte aus, die ich dann für die Arbeit benutze. Ich bin, wie gesagt, flexibler, wenn ich auf dem Papier Anmerkungen machen kann. Ein ganzes Buch habe ich mir noch nie ausgedruckt. Ich habe geradezu Angst vor soviel Papier. Bücher kaufe ich mir noch öfter.

Du hast gesagt, dass „Neid“ im Netz für dich nicht richtig, sondern nur „virtuell“ veröffentlicht sei. Denkst du das noch immer? Hat sich das durch die Reader- und Tablet-Entwicklung nicht geändert?

Virtuell im Sinne der Computerdarstellung eines realen Objekts, also eines Buches aus Papier. Entscheidend ist für mich aber etwas anderes: Wenn ich im Netz veröffentliche, dann gehört der Text mir, und er bleibt mir auch. Es hat etwas sehr Privates für mich, dieser Dialog zwischen einem Gerät und mir selbst. Gleichzeitig hat jeder darauf Zugriff, der will. Diese Mischung aus Privatem und Öffentlichem hat mich von Anfang an fasziniert. Ich will ja meine Sachen im Grunde nicht ausliefern, und so habe ich das Gefühl, ich kann den Kuchen essen und ihn gleichzeitig behalten.

Hast du seither etwas an dem Roman geändert? Denkst du ihn weiterhin als weniger endgültig als eine Veröffentlichung in einem Verlag?

Ja, ich habe immer wieder nachträglich etwas geändert. Da ich ja auch oft mit politischen und sonstigen Fakten arbeite, geht das sehr gut, denn die Fakten ändern sich, und ich kann die Änderungen dann jederzeit eintragen. Nichts, was im Netz steht, ist in Stein gemeißelt. Andererseits würde ich niemals irgendwelche früheren Fassungen eines Textes ins Netz stellen, das wird alles vernichtet. Ich möchte nicht, daß jemand meinen Arbeitsprozeß nachvollziehen kann (was ja durch diese Arbeitsweise möglich wäre). Es ist immer eine Endfassung, die im Netz steht, und wenn etwas geändert wird, ist das auch eine Endfassung. Natürlich ist das dann weniger „endgültig” als eine Veröffentlichung in einem Verlag. Aber gerade das reizt mich ja daran. Das Buch ist ein Ziegelstein. Bei Neuauflagen kann man zwar Fehler korrigieren, mehr aber auch nicht.

Du planst auch in Zukunft, deine Prosa ausschließlich auf deiner Webseite zu veröffentlichen? Hat es eher damit zu tun, wie sich dein Werk entwickelt („Neid“ hast du einen „Privatroman“ genannt), oder damit, dass du zu der kommerziellen Verlagswelt auf Distanz gehen möchtest

Nicht nur zur Verlagswelt (mit der ich übrigens nur sehr selten schlechte Erfahrungen gemacht habe), auch zum deutschsprachigen Literaturbetrieb, den ich für extrem korrupt und nepotistisch halte. Es ist ja immer lustig zu sehen, wer mit wem befreundet ist und wer wem einen Gefallen schuldig ist. Damit will ich jedenfalls nichts mehr zu tun haben. Und tatsächlich werden Bücher, die nur im Netz erscheinen, so gut wie nie besprochen. Das ist gut, also für mich ist das gut. So will ich es haben.

Warum bietest du deine Texte ausschließlich auf deiner Homepage und nicht zum Beispiel (ebenfalls gratis) bei Amazon an?

Warum sollte ich das gratis bei Amazon anbieten? Wenn schon keine Verlage, dann auch kein Amazon! Es wäre natürlich daran zu arbeiten, daß das Urheberrecht neu gefaßt wird, den neuen Möglichkeiten angepaßt wird, und daß es dann auch eine Bezahlung für die Arbeit gibt, aber das müssen die Berufsverbände und -vertreter aushandeln. Bei sowas bin ich nicht gut. Nein, wer mich lesen will, muß schon zu mir kommen. Wenn er sich für meine Sachen interessiert, muß er meine Seite aufrufen. Ich zwinge niemandem etwas auf (das wäre eh nicht möglich).

Du hast einen großen Namen und bei „Neid“ das Lektorat selbst finanziert. Was sollen aber diejenigen tun, die noch keinen Namen haben und kein Geld? „Müssen“ sie weiterhin in kommerziellen Verlagen veröffentlichen?

Ja, das wird in den nächsten Jahren unser Problem sein, allen Kolleginnen und Kollegen, auch denen, die noch keinen Namen haben, Aufmerksamkeit zu verschaffen. Vielleicht durch freie Agenturen im Netz, die auch Lektoratsdienste und Werbung anbieten, und die, ähnlich wie im Verlag der Autoren oder in anderen genossenschaftlichen Modellen, von den Autorinnen und Autoren selbst kontrolliert und bereitgestellt werden. Leider funktionieren solche Modelle oft nicht, aber man muß daran arbeiten, so etwas zu entwickeln. Und natürlich konnte ich es mir nach dem Nobelpreis leisten, meinen nächsten Roman einfach zu verschenken. Das wird nicht jedem möglich sein.

Kommt das Modell des Berufsschriftstellers an ein Ende?

Nein, sicher nicht. Die Verlage wird es nicht mehr geben, die Autoren wird es immer geben. Man wird eben nur eine gerechte Form der Bezahlung finden müssen. Vielleicht aus der Maut an den großen Daten-Autobahnen? Der Seehofer soll mit seiner Maut-Idee ja nicht allein bleiben …

In den frühen Siebzigern warst du Teil des Österreichischen Autorenkreises, der Bücher selbst verlegt hat. Können solche Initiativen digital eine Zukunft haben?

Die edition literaturproduzenten war unter dem Dach eines Verlags. Das waren allerdings ganz andre Zeiten, wir waren einfach stärker politisiert, aber das hat auch nicht funktioniert. Das Problem bei solchen Konstrukten, auch beim Verlag der Autoren, einem Theaterverlag, ist immer, daß Kollegen und Kolleginnen, die aufgrund ihrer Arbeit bekannter werden als andere, auch ein größeres Stück vom Kuchen bekommen wollen. Dann ist die Solidarität zu Ende (mit der es ja überhaupt nicht mehr weit her ist).

Dennoch bist du im Beirat von Fiktion. Können wir es anders machen oder sind auch wir über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt?

Ich habe keine Ahnung. Wir werden wahrscheinlich ganz neue saftige Fehler machen. Aber man muß es versuchen, neue Möglichkeiten des Publizierens zu finden.